Dem Fluss entlang

Tönt spannend: eine Bahnlinie, die mit einem Radius von wenigen hundert Metern einen See umrundet und dessen Zufluss auf einer Brücke überquert, die sich die Bahn mit der Hauptstrasse teilen muss, um dann unmittelbar in einem Bahnhof zu enden.






Diese Situation fand ich, als ich einmal kartografisch Norwegen überflog. Wie Ihr Euch vorstellen könnt, wollte ich mir diese Situation live und in Farbe ansehen. Rødberg, wie dieser Ort übrigens heisst, liegt in einer Gegend, in der ich mich gerne hin und wieder aufhalte. Womit dem Ansinnen eines Augenscheins vor Ort bei einer nächsten Reise nach Norwegen wenig entgegenstand.





Rødberg befindet sich im Numedal, einem langgestrecken Tal, welches aus dem Hochgebirge in süd-südöstlicher Richtung dem Meer zu verläuft. Das Wasser des Numedalslågen, fliesst bei Larvik in den Skagerak und somit in der Nordsee.





Rødberg hat sehr spät, erst 1929 einen Bahnanschluss erhalten, von Kongsberg aus, über die 92km lange Numedalsbanen. Kongsberg ist eine Stadt an der Sørlandsbanen, die Oslo mit dem Süden und Südosten des Landes verbindet. Eigentlich gab es schon im neunzehnten Jahrhundert Pläne, eine Strecke durch das Numedal und von dort weiter über Dagali und Geilo („Jeiluu“ ausgesprochen 😎) nach Bergen zu bauen. Für die Bergenbahn wählte man schliesslich eine andere Streckenführung, und genannte Pläne wurden in der wohlbekannten Schublade verstaut.





Im Zusammenhang mit der Idee, rund um Rødberg mithilfe von wie überall in Norwegen reichlich vorhandener Wasserkraft Elektrizität zu erzeugen, und dafür die notwendigen Kraftwerke zu erstellen, wurden die Pläne der Schublade wieder entnommen, der angesetzte Staub weggeblasen und die Bahnlinie schliesslich gebaut. Die topografischen Verhältnisse zwischen Kongsberg und Rødberg ist nicht allzu herausfordernd. Trotzdem war einer grosse Anzahl Tunnels zu erstellen, deren kürzestes 16m und deren längstes 572m misst. Zudem wurden fünf Brücken gebaut. Das mit 65m längste Bauwerk überspannt bei km55 und den Numedalslågen, von der einen Talseite auf die andere.





Damit diese Eisenbahnlinie viel Geld in die Kasse hätte spülen könnte, liegt sie in einer zu wenig besiedelten Gegend. Ausser der Holzverarbeitung gibt es dort niemanden, der Grosses und Schweres zu versenden hatte, bzw. empfing, nachdem all der nötige Zement und die schweren Maschinen und Geräte für den Kraftwerksbau das Tal hochgebracht wurden. Somit war nach sechzig Jahren schon wieder Schluss, zumindest beim Personenverkehr. Trotz der nicht überragenden Nachfrage nach Transporten per Bahn, wurden auf der Numedalsbanen bisweilen stattliche Züge eingesetzt, denen beispielsweise auch die klassischen, norwegischen Di 3 von NoHAB vorgespannt waren. (Jedenfalls gibt es Bilder einer entsprechenden Extrafahrt.) 





Mich erstaunt die Vielfalt an Rollmaterial, das nach Rødberg gelangte. Unter den diversen Triebwagen-Bauarten befanden sich sogar die NSB-Geschwister meines Padda. Wahrscheinlich war man nach der 92km langen Fahrt in diesem Schienenbus über die gesamte Strecke bei der Ankunft mehr als nur gut durchgeschüttelt. Ich wäre trotzdem gerne mitgefahren.





Am letzten Tag des Jahres 1988 wurde der Personenverkehr von Kongsberg nach Rødberg eingestellt. Auf den 30km von Kongsberg nach Flesberg werden zwar heute noch Holzzüge gefahren; wie oft und regelmässig diese allerdings unterwegs sind, weiss ich nicht. Ich war immer während den Sommerferien in der Gegend, und dann sind generell wenig Güterzüge unterwegs. Der Streckenteil oberhalb von Flesberg und Rollag ist seit 1988 ganz ohne Bahnverkehr. Die Stecke ist allerdings noch fast vollständig erhalten, fast so, als dass man sie mit einem Zug befahren könnte, nachdem man unter Zuhilfenahme von Axt und Motorsäge den Bewuchs von den Gleisen verscheucht hat.





Meine Expeditionen dorthin haben ihren Ausgangspunkt normalerweise am Tinnsjø auf der anderen Seite der Bergkette, die das Numedal gegen Süden begrenzt. Ich habe dort gewöhnlich mein Basislager aufgeschlagen, von wo sich Erkundungen der Rjukanbahn und Fahrten ins Numedal anbieten. Es gibt drei unterschiedliche, jede auf ihre Art schöne Fahrstrecken über den Berg.






Man könnte beispielsweise die Strecke über die weite Hochebene dem See Sønstevatn (dem in der Höhe) entlang wählen, um dann ab Uvdal auf der Strasse 40 von Norden her ins Numedal zu fahren. Auf dem Aufstieg von Austbygd zum Sønstevatn, nahe der Baumgrenze, ist mir einmal frühmorgens mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Polarfuchs im Sommerkleid begegnet. Ich habe dann gelesen, dass diese Gegend das südlichste Verbreitungsgebiet dieser Tiere sei, somit wäre meine Beobachtung nicht einmal ganz ausgeschlossen.





Eine andere Möglichkeit vom Tinnsjø an den Numedalslågen zu gelangen, wäre über den privaten Skirvedalsvegen von Austbygd nach Veggli im Numedal. Ja, dies ist tatsächlich eine Privatstrasse, von denen es in Norwegen einige gibt. Irgendwann fährt man auf solchen an eine Barriere, die sich nur öffnet, wenn man zuerst per Kreditkarte den Wegzoll entrichtet. Aber die abenteuerliche Fahrt auf der streckenweise unbefestigte Nebenstrasse mit vielen Kurven ist jede Krone wert.




Die alte, und früher einzige Verbindungsstrasse 364  zwischen Rjukan und Nottoden durch die hügelige, waldreiche Landschaft nördlich des Tinnsjø wäre eine dritte Variante. Man müsste dann über die 37 nach Kongsberg fahren. Kreuz und quer durch rural Norway mit verschlafenen Örtchen, abgelegenen Bauernhöfen, vielen Kurven und hin und wieder einem atemberaubenden Ausblick in südlicher Richtung, sowie kleinen Seen und sprudelnden Flussläufen entlang dem Strassenverlauf.






Da sich bei mir im Laufe der Zeit nicht nur Modelle von Rollmaterial norwegischer Provenienz angesammelt hat, habe ich auch Modelle von Häuschen mit Bahnbezug, deren Vorbilder an der Numedalsbanen anzutreffen sind. Dies ist dem Umstand zu verdanken, dass SMB Service eine stattliche Anzahl davon als Bausätze aus lasergeschnittenem Holz anbietet. Eines dieser Häuschen hat sogar die ehrenvolle Aufgabe, das einzig Gebäude auf meinem Solbergfossbanen-Segment zu sein.





Ich hätte gerne hier mehr eigene Bilder aus Rødberg präsentiert, aber leider sind diese alle einmalig in die digitalen Jagdgründe entschwunden. Für richtig schöne Bilder aus den letzten Tagen mit richtigem Bahnbetrieb, kann ich Euch DIESEN und DIESEN Link empfehlen. Überhaupt, diese Fotosammlung ist auch sonst ganz nach meinem Geschmack. Die die Vorbild-Fotos in diesem Post stammen aus den norwegischen Digitalarchiv.




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