Die Kröte vom Solbergfoss

Mir ist gerade etwas fast unverzeihlich-schreckliches aufgefallen: ich habe bis heute einem meiner absoluten Lieblingsmodellen keinen eigenen, adäquaten Post gewidmet. Dies ist insofern tragisch, als dass ich diesem sogar ein eigenes Betriebs-Diorama gebaut habe, allerdings auch teilweise entschuldbar, weil es erst seit letztem Sommer in meiner Fffitrine steht. Oder auf den höchsteigenen Diorama. Oder in Weinegg.



Padda in Ytre Enebakk.

Es handelt sich um das Modell des Padda. Und Padda bedeutet in Norwegen, da wo sein Vorbild herkommt, Kröte. Die Analogie dieses Triebwagens zu einem quakenden Amphibium entzieht sich allerdings meiner ansonsten reichlich vorhanden Fantasie. Eine andere Bezeichnung wäre noch „Bussen“ - irgendwie passender - oder amtsnorwegisch „Cm 2“. Die Bahngesellschaft hatte noch einen zweiten, älteren Triebwagen, den man „Cm 1“, oder „Gamla“ nannte. Auf Norwegisch steht Gamla für „Alter“. Kompliziert das Ganze? Es könnte noch komplizierter werden, denn in Norwegen spricht man zwei Arten Norwegisch: Nynorsk und Bokmal. Und die hätten vermutlich wiederum zwei verschiedene Begriffe für Kröten und für Alte. Also lassen wir den Ausflug in die Linguistik und beschränken uns hier auf Modellbahnen und ihre grossen Vorbilder.



Padda in Askim. 
Kröten lieben eine feuchte Umgebung und ernähren sich auch von Käfern.

Das grosse Vorbild meines silbergrauen Triebwagens wurde 1938 bei einer Firma namens Skabo in Oslo gebaut. Wer jetzt aber findet, dass er ihn an ähnlich aussehende Schienenbusse in Schweden, oder Dänemark erinnert, liegt keineswegs falsch. Es gab nämlich die Firma Hilding Carlsson im schwedischen Umea, die solche Schienenfahrzeuge nicht nur entwickelte, sondern auch baute. Mit unserem Padda am nächsten verwandt, sind wohl die Yd der Schwedischen Staatsbahnen aus dieser Fabrik. Aber es gab auch noch andere, beispielsweise eine vierachsige Ausführung; von denen eine recht ansehnliche Stückzahl in Dänemark unter Lizenz für diverse Privatbahnen gebaut wurde. Skabo aus Oslo kaufte sich offenbar ebenfalls entsprechende Lizenzen und machte sich wahrscheinlich Hoffnungen, solche Triebwagen in Norwegen an den Mann bringen zu können. Im Gegensatz zu Dänemark war der Erfolg in Norwegen allerdings eher bescheiden, konnten dort, neben dem Padda, nur noch drei solche Schienenbusse an die NSB verkauft werden. Diese waren nicht besonders erfolgreich und wurden bald wieder aus dem Personenverkehr abgezogen.



Ob noch Fahrgäste kommen? 

Der Padda fuhr hingegen fast dreissig Jahre lang, tagtäglich seine Runden auf der ungefähr 8km langen Strecke von Solbergfoss nach Askim an der östlichen NSB-Strecke zwischen Oslo und Halden. Dies tat er in stetigem Wechsel mit Gamla, seinem älteren Bruder. Weil die Solbergfossbahn, neben den beiden Triebwagen, keine weiteren Triebfahrzeuge besass, diente der Padda auch zum Schneeräumen. Dazu wurde er im Winter mindestens auf einer Seite mit einem abnehmbaren Schneepflug versehen und war bei starkem Schneefall auch ausserhalb des eigentlichen Fahrplans ständig unterwegs, um sie Stecke befahrbar zu halten.



In Schweden gab es eine Privatbahn mit einem ähnlichen Schienenbus.

Auch sonst liessen die Leute von der Solbergfossbahn bei der Ausstattung ihre individuellen Wünsche einfliessen, ist er doch zusätzlich mit Stossstangen und Hilfskupplung versehen, auch die Einrichtung zum Transport sperriger Güter an den Seitenwänden war bei seinen NSB-Brüdern nicht vorhanden. Und dann natürlich die Farbe: man wählt hier ein äusserst sportliches Silbergrau! Ob er desswegen - als Silberpfeil sozusagen - die vielen Kurven zwischen Askim und Sollbergfossen schneller nehmen konnte, bezweifle ich allerdings.



Gamla knattert Richtig Askim.

Nachdem diese Bahnlinie 1965 aufgegeben wurde - einerseits aus Ermangelung an Fahrgästen, andererseits weil die Bahnanlagen verschlissen waren - stellte man Gamla und Padda in den sehr skandinavisch anmutenden Triebwagenschuppen in Solbergfoss. Und machte nichts mehr. An einigen Stellen wurden zwar Gleise entfernt, aber sonst passierte in den nächsten Jahren zwischen Askim und Solbergfossen wirklich nichts mehr. Bis man sich entschloss, alle Gleise endgültig zu entfernen und das Trasse sommers als Veloweg und im Winter als Langlaufloipe zu benutzen. (Wir befinden uns in Norwegen, da macht eine solche Doppelnutzung durchaus Sinn und fand bestimmt viele Anhänger.)



Padda in seiner natürlicher Umgebung.

Gleichzeitig haben sich offenbar Mitglieder des Norsk Jernbaneklubb an diese beiden Triebwagen erinnert, die in Solbergfoss wahrscheinlich einigem Getrier als ruhiges Zuhause an bevorzugter Wohnlage dienten. Einige wackere Männer des Norsk Jernbaneklubb machten sich an die verdankenswerte Arbeit, zuerst die beiden Triebwagen von Spinnweben und Wintervorräten heimischer Nagetieren zu befreien (das stelle ich mir jedenfalls so vor), und sie dann über die noch vorhandenen Gleisen nach Askim zu bringen. Diesen Leuten gebührt wirklich ein ganz grosses Dankeschön, wäre es doch wirklich jammerschade, wenn man diese beiden Perlen damals zerlegt hätte. 



Unterwegs zwischen Askim und Solbergfossen.

Die Bergung muss ein richtiges Abenteuer gewesen sein, beispielsweise waren die Gleise auf einigen Abschnitten schon entfernt worden und mussten speziell für diese Bergung wieder provisorisch verlegt werden. Glücklicherweise wurde diese Aktion auch fotografisch festgehalten; viele, der sonst eher raren Bilder der Solbergfossbane, stammen von dieser Aktion.



So ähnlich einfach waren die Stationen an der Solberfossbahn.

Die beiden Triebwagen wurden zur Kröderenbahn gebracht und dort auch eine Zeit lang eingesetzt. Gamla befindet sich immer noch dort und wäre meines Wissens einsatzbereit. Padda, um den es hier ja schlussendlich geht, wurde vor einiger Zeit nach Mysen, einem Nachbarort von Askim verbracht. Dort wird er derzeit aufgearbeitet. In einem Schuppen, gut geschützt vor Witterungseinflüssen. Ich hoffe es ergibt sich einmal die Gelegenheit mit den Leuten dort in Kontakt zutreten, wenn ich hoffentlich wieder mal norwegischen Boden unter den Füssen haben werde. Ich möchte mir doch den Padda gerne einmal live ansehen.



Gleise im Sandbett waren auf solchen Nebenbahnen üblich.

Wie die Stammbesucher dieses Posts schon bemerkt haben dürften, habe ich an der Solbergfossbane einen Narren gefressen. Kleinbahn, Privatbahn, nostalgisch und dann noch in Norwegen: für mich braucht‘s nicht viel mehr, um glücklich zu sein! (Siehe weiter unten. 🙂)



Begegnung mit zeittypischem Güterwagen.
Als der Padda unterwegs war, gab es auf dieser Bahn allerdings keinen regelmässigen Güterverkehr mehr.

Interessanterweise wurde im Laufe der Jahre immer wieder, dem jeweiligen Zeitgeist entsprechende Modelle von Padda durch diverse Produzenten angeboten. Möglicherweise, weil er seinem schwedisches Pedant recht nahe kommt und darum mit geringem Aufwand zusammen mit den entsprechenden schwedischen Modellen hergestellt werden konnte. Mein Modell ist das neuste auf dem Markt. Es wurde im letzten Sommer von NMJ herausgebracht und wurde wahrscheinlich in Korea gefertigt. Ein Modell in zeitgemässer Qualität und es entspricht in jeder Hinsicht heutigen Massstäben. Beispielsweise ist es schon ab Werk mit einem Decoder bestückt. Zwischen Ankündigung und Auslieferung zog allerdings viel Zeit ins Land; ich glaube, ich habe es hier schon einmal geschrieben und bin nach wie vor dieser Meinung: das lange Warten hat sich schlussendlich gelohnt. Definitiv. 



Die Milchkannen wartet auf ihre grosse Reise.

Dieses Modell habe ich mir am allerersten Tag meiner letztjährigen Norwegen-Reise erstanden, wenige Stunden nach der Einreise. Das erste Mal habe ich es dann rund eine Stunde später am See Vagvatnet in Ytre Enebakk ganz, ganz vorsichtig aus seiner Schachtel genommen, sorgfältig aus dem Seidenpapier gewickelt und sachte vor mir auf den von Sonne, Wind und Wetter gezeichneten Holztisch gestellt. Und habe riesige Freude gehabt. Ich war selig: skandinavischer See im Hintergrund, Birken bewegen sich leise im Wind, der Himmel blau mit einigen weissen Wölkchen, und Bachstelzen tänzeln durch das kurze Gras und über die freiliegenden Felsen um mich herum. Und vor mir auf den Holztisch, ein Modell, das ich mir lange gewünscht habe... All das an meinem ersten richtigen Ferientag!



Kröte in Froschperspektive.

Die nächsten Tage waren dann nicht immer ganz Padda-tauglich. In den Hotelzimmern und Hüttchen, in denen ich die folgenden Nächte verbracht habe, blieb der Padda meistens, durch reichlich Schaumstoff gut geschützt, in seinem Kistchen. Auch wenn ich es nicht unterlassen konnte, das Kistchen hin und wieder zu öffnen und ihn ganz sachte auf die jeweils vor Ort zur Verfügung stehende Abstellfläche zu platzieren. Um ihn dann selig anzusehen, und um ihn dann rasch wieder in der gut gepolsterte Schachtel zu versorgen.



Stecke im Juli 2021 bei krötenfreundlichen meteorologischen Bedingungen.

Wieder daheim war etwas vom Erstem, dem Padda sein neues und zukünftiges Zuhause in Form von Weinegg zu zeigen. 😂



Modell von NMJ des Yd der Schwedischen Staatsbahnen im Besitz von Herr K. aus Z.

Mein Padda-bezogener Enthusiasmus war offenbar ansteckend. Natürlich konnte ich es nicht lassen, Herr K. aus Z. (49) via SMS mit einem andauernden Bombardement von Bildern meiner Neuanschaffung einzudecken. Die Folge: er wollte auch einen in Schwedisch, einen Yd. Ich hätte ihm auch sehr gerne einen gebracht. Leider waren bei NMJ alle Modelle, in allen Versionen restlos ausverkauft, als ich am Ende meiner Reise wieder im Laden am Enjöveien vorbeischaute. Er konnte sich dann im Internet doch noch einen erstehen. Diesem ebenfalls superschönen Modell wurde zusätzlich einiges an passendem Kleinkram beigelegt. Wisst Ihr was? Ich beneide ihn um den Anhänger zum Yd! 🙂 Auch wenn die Solbergfossbahn nie einen solchen hatte, chick wäre er eben schon hinter meinem Padda. Bei Shapeways würde sogar ein entsprechendes Gehäuse in 3d-Druck angeboten...




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