Von Absicht zu sprechen, wäre falsch

Eigentlich wollte ich über Davos nach Bergün fahren, aber ein Defekt am Twindexx auf der Fahrt ins Bündnerland und zusätzlich ein Felssturz zwischen Filisur und Bergün verlangten nach einer spontanen, drastischen Massnahme: einer Programmänderung.



Darum sass ich schlussendlich in einem Zug, der von Landquart über Klosters und durch den Vereinatunnel nach St. Moritz fährt. St. Moritz, beziehungsweise das Oberengadin als Reiseziel waren zu diesem Zeitpunkt noch keine Optionen, hätte doch der Felssturz im Albulatal Auswirkungen auf meinen Heimweg gehabt. Somit wurde stattdessen Scuol zum Reiseziel erklärt.


Jetzt sitze ich in einem Restaurant in Scuol, habe einen Apfelstrudel mit Vanillesauce vor der Nase und schreibe diese Zeilen. Vor rund einer Stunde habe ich mir allerdings noch bei zeitweilig leichtem Schneefall in Susch beinahe die Finger abgefroren. Und das Ende April!



Bedingt durch die Störung am Twindexx (ich hasse diese Züge!), habe ich am Morgen in Landquart den Zug verpasst, der am südlichen Ende des Vereinatunnels links abbiegt und via Sagliains und mit Fermada sin dumonda in Ftan Baraigla nach Scuol im Unterengadin fährt. Ich nahm stattdessen in einem Zug, der am Ende des Vereinatunnels nach rechts abbiegt und das Tal aufwärts fährt. Ich hatte die Möglichkeit an einer der folgenden beiden Stationen in einen Zug umzusteigen, der dann wieder talabwärts fährt, entweder in Susch oder in Zernez. Kompliziert das Ganze? Nein, fast wie Tram fahren, einfach in einer alles andere als urbanen Gegend. Mein Zug talwärts nach Scuol hielt dann übrigens tatsächlich auch in Ftan Baraigla. Ich schwöre, es war nicht mein Zeigefinger, der die Haltetaste betätigte. Wirklich! Es stieg dort sogar jemand aus.



Ich entschied mich in Susch von talaufwärts strebenden Zug in diesen umzusteigen, mit dem es wieder abwärts geht. Den Bahnhof Susch kannte ich bisher nur vom Durchfahren, oder vom Umsteigen. Ich hatte bisher nie die Möglichkeit, mir diesen Bahnhof in seiner wahren Pracht anzusehen; bei etwas angenehmeren Temperaturen wäre er allerdings noch prächtiger gewesen.



Susch bringt’s! Eigentlich ist’s ja nur ein Standard-Bahnhof an der Unterengadiner Linie; typisches Bahnhofsgebäude, Türmchen-Trafostation und der obligate Gleisplan mit zwei durchgehenden Gleisen und einem Abstellgleis. Fast! Susch hat nämlich zwei Abstellgleise. Man hat sich wahrscheinlich den Umstand zunutze gemacht, dass die leicht ansteigende Strecke talaufwärts Richtung Zernez in einer sanften Rechtskurve liegt. Diese Kurve bietet nämlich Platz für ein zweites, weniger gebogenes Abstellgleis in der gleichen Flucht.


Der Bahnhof liegt, wie eigentlich fast alle Bahnhöfe an dieser RhB-Strecke, an einem Hang. Das Bahnhofsgebäude befindet sich auf der Talseite der Gleise, umgeben von einem asphaltierten Platz, der über eine ansteigende Strasse aus dem tiefergelegen Dorf erschlossen ist.



In westlicher Richtung wird unmittelbar nach der Bahnhofsausfahrt eine Dorfstrasse mit einer Brücke überquert, ostwärts führt die Strecke über sanfte Kurven dem Hang entlang, um dann im Val Ota-Tunnel zu verschwinden.

Bekanntlich bin ich ja nicht so auf den sklavischen Nachbau aus - Hut ab vor denen, die es tun! - aber Susch bietet sehr viel, das diesen Bahnhof zur Vorlage für den „Nachbau“ eines klassischen RhB-Bahnhofs der Engadiner Strecke macht.



Nach den vergangenen Corona-Jahren sind wir ja bekanntlich alle kleine Virologen. Und als solche wissen wir nun auch, dass man Erreger im Körper haben kann, ohne das diese aktiv sind. Doch plötzlich kann die entsprechende Krankheit trotzdem ausbrechen. Entweder akut, oder schleichend mit zunehmenden Symptomen. Ich habe seit Kindheit den Rh-B-Virus im Körper; seit zahlreichen Sommerferien im Unterengadin. Infiziert durch den Anblick und die Fahrten hinter Ge 4/4‘, Ge 4/4“, braunen Krokodilen, grüner Ge 6/6“ und roter Triebwagen. Bis jetzt konnte ich verhindern, dass das Rh-B-Virus mit pathologischen Folgen ausbrach, durch ganz viele andere schöne Dingen in Normalspur. Ob es am Älterwerden liegt? Jedenfalls spüre ich die Symptome dieses Virus immer öfter, jedesmal wenn ich mich im Hauptverbreitungsgebiet dieser Viren befinde, oder wenn ich - unbeabsichtigt - mit Bemo in Berührung komme. Nur schon ein Anblick genügt! 

Ich kann daher beim besten Gewissen nicht versprechen nie, nie, nie etwas mit rhätischem Vorbild zu bauen. Etwas mit Susch als Ausgangspunkt? Vielleicht hilft es mir den Rh-B-Virus unter Kontrolle zu halten.



Übrigens, die Heimfahrt war dann trotzdem über die Albulalinie möglich, vermutlich dank den starken Oberarme einiger RhB-Angestellter. Danke! Und Bergün habe ich auch noch gesehen, etwas kleiner im Bahnhof von Scuol, dafür mit fast richtigen Steinböcken.


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