Ein spezielles Paar

Zwei ganz spezielle Modelle in meiner Sammlung sind der Walker-Triebwagen und sein Beiwagen. Heute möchte ich Euch erzählen, was es mit diesem Triebwagen-Gespann auf sich hat, und wie die beiden zu mir kamen. Und alles andere, was ich in diesem Zusammenhang so wichtig finde, dass es erzählt werden muss.


Das Vorbild: auch wenn Australien bekanntlich am ganz anderen Ende der Erde liegt, hat man dort bisweilen die selben Probleme, wie wir sie auch hier in Europa kennen. Ich denke dabei weniger, was man im Dezember anziehen soll, denn dort, auf der anderen Seite des Planeten, wären beispielsweise Mütze, Halstuch und Handschuhe definitiv nicht angebracht.

In Australien hat man hingegen ebenfalls das Problem, dass man auf abgelegenen, wenig frequentierten Eisenbahnstrecken den Betrieb kostengünstiger gestalten muss.



Im Bundesstaat Victoria, im Südwesten des Kontinents, entschied man sich es in den Nachkriegsjahren mit einer Art Triebwagen zu versuchen. Die Walker Brothers aus Wigan in der Nähe von Manchester im fernen England hatten - neben anderem - Triebwagen mit Dieselantrieb im Angebot, mit denen man die wichtigen Männer in Anzügen, Kravatten und Hüten von Victoria Railways am anderen Ende der Welt überzeugen konnte. Ähnlich Triebwagen wurden zuvor schon in recht stattlicher Zahl unter anderem nach Irland geliefert wurden. Die irischen Triebwagen sind und waren allerdings auf Schmalspurgleisen unterwegs, während die in Victoria über Breitspurgleise mit 1600mm Gleisanstand rumpeln. (Randnotiz: ein irischer Walker befindet sich heute auf der Isle of Man. Spätestens wenn er dort aufgearbeitet ist und wieder fährt, muss ich mir definitiv diese Eisenbahn-Insel anschauen gehen.)



Die Walker Brothers aus Wigam in England lieferten in diesem Fall nur die Antriebe und die Steuerung für die Triebwagen in die ehemalige Kronkolonie. Der Rest wurde von lokalen Firmen beigesteuert, und der Zusammenbau geschah in einer Werkstatt von Victoria Railways in einem Vorort von Melbourne.

Das Spezielle an den Walker Railcars ist, dass der Antrieb von der Fahrgastzelle gesondert auf einem speziellen Drehgestell aufgebaut ist. Meistens befand sich dort aus wahrscheinlich praktischen Gründen auch gleich noch der Führerstand; es wurden allerdings auch Walkers gebaut, bei denen sich das Antriebsdrehgestell zwischen zwei Fahrgastzellen befindet. Warum muss ich dabei unweigerlich an einen GTW aus dem Hause Stadler denken?…



Die Walkers scheinen sich in Victoria recht gut bewährt zu haben, wurden doch immerhin 36 Stück in verschiedenen Konfigurationen zwischen 1948 und 1954 gebaut, ergänzt mit etwa gleich vielen Beiwagen. Der Beweis, dass sie sich bewährt zu haben scheinen, belegt auch die Tatsache, dass es bis heute einige Walkers bei Museumsbahnen gibt und nach wie vor recht populär zu sein scheinen.



Und offenbar auch als Modell. Walkers wurden immer wieder von diversen Anbietern feilgeboten. In den letzten Jahren hat beispielsweise ein australischer Produzent wunderschöne Modelle bei einer der bekannten Firmen in China produzieren lassen. Ich kenne nur Bilder dieser Modelle, aber diese können ganz bestimmt optisch mit den schönsten Modellen mithalten, die wir hier in Europa kennen.

Mein Modell hat hingegen eine etwas abenteuerlichere Geschichte. Abenteuer und Australien gehören ja auch fast unweigerlich zusammen…



Die Modelle des Triebwagens und seines Beiwagens wurden 1986 zusammen mit 199 Brüderchen und Schwesterchen von Ajin Precision Manufacturing Inc. in Südkorea hergestellt. Diese Firma war damals eine der absoluten Edelschmieden, was Messing-Handarbeitsmodelle von Eisenbahnen angeht. Ajin belieferte nicht nur den nordamerikanischen Markt mit unzähligen Modellen, auch einige namhafte Produzenten aus Europa liessen dort ihre Kleinserienmodelle herstellen.

Das Modell des Walkers wurde von einer Firma Namens „Australian Locomotive Company“ aus dem Heimatbundesstaat des Vorbilds in Auftrag gegeben und in Australien über einschlägige Händler ans geneigte Publikum verkauft. Wie mein Modell um den halben Globus in die Schweiz gelangte, weiss ich allerdings nicht. Ich habe es zehn Jahre später an einer der legendären American Railroad Conventions in Adliswil bei einem Händler in dessen Fffitrine entdeckt. „Love on the first sight“ um in der Sprache Australiens zu bleiben…



Es war allerdings sauteuer. Ich hatte definitiv nicht so viel Geld dabei und war mir auch nicht sicher, ob ich so viel Geld dafür ausgeben möchte. Ich konnte mich mit dem Händler dann einigen, dass ich mir das Ganze überlegen und mich dann nochmals bei ihm melden werde. Das Risiko, dass jemand anderes an einer American Railroad Convention in der Schweiz ein doch sehr spezielles Modell aus Down Under wegschnappt, ging ich ein. Und wenn es so gewesen wäre: Pech gehabt.



Einige Tage später traf ich mich dann mit diesem Händler wieder. Auf dem Hinweg hatte ich ein ganz fettes Portemonnaie in meiner Gesässtasche. Als ich heimging, war das Portemonnaie dünn, dafür hatte ich eine weinrote Schachtel mit ganz edlem Inhalt unter dem Arm.

Der Triebwagen und sein Beiwagen sind absolut nach meinem Geschmack: Nichtalltägliche Sonderlinge deren Vorbilder auf Nebenbahnen unterwegs waren, oder noch sind. Dass ich einige Jahre zuvor selbst in Australien war und darum noch unter dem Australien-Virus litt, hat zu meiner Kaufentscheidungen bestimmt beigetragen. Ich habe allerdings nie einen richtigen Walker in freier Wildbahn gesehen; dafür war ich nicht genug lang im entsprechenden Bundesstaat und hatte zudem ich keinen Schimmer, dass es dort derart coole Triebwagen gibt.



Der Walker wäre eigentlich samt Beiwagen das perfekte Fahrzeug für all meine Weineggbahn-Ideen. Wäre. Er hat nämlich ein entscheidendes Problem: Sein Vorbild wurde für Hochperrons gebaut, wie sie auf Bahnhöfen im (ehemaligen) Einflussbereich der britischen Krone weltweit und nicht nur in Australien verbreitet sind. Der Walker und sein Beiwagen hätten zwar unterhalb der Türchen Leitern, damit die Fahrgäste auch ohne hohe Bahnsteige in den Zug klettern können. Das wurde gemäss Bildern von den Fahrgästen im australischen Bush auch abverlangt; ich kann dies meiner Kundschaft keinesfalls zumuten…



Darum stehen sich Mister Walker und Miss Trailer die allermeiste Zeit in der Fffitrine die Räder flach, oder noch schlimmer: sie dösen in der weinroten Schachtel vor sich hin und träumen von Kängurus, Wombats und einem deftigen Barbeque. Diese weinrote Schachtel hat es übrigens auch in sich! Sie ist einerseits mit der Fotokopie einer Anleitung bestückt, deren Original noch von Hand auf einer Schreibmaschine verfasst wurde. Ausserdem befinden sich dort drin noch eine stattliche Anzahl Schiebebilder, mit denen sich der Walker individuell gestalten liesse, und eine Unmenge Minigrip-Beutelchen mit Kleinteilen, die ebenfalls dazu da wären, den Walker optisch zu tunen. Fast schon eine Time Capsule, was sie in naher Zukunft wahrscheinlich auch bleiben wird…




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