Die letzte ihrer Art

Die Schweiz hatte schon recht früh ein ausgedehntes Netz an Kleinbahnen. Diese wurden zu einem Grossteil in Meterspur ausgeführt und oft schon seit ihrer Betriebsaufnahme elektrisch betrieben. Bei einzelnen Strecken handelte es sich um „richtige“ Bahnen, mit einem eigenen Trasse, richtigen Lokomotiven und repräsentativen Bahnhofsgebäuden. Andere waren hingegen eher Strassenbahnen; auf, oder neben der Strasse trassiert, und ihr Rollmaterial war dem von Trams verwandter, als dem „richtiger“ Eisenbahnen.



Bahnhof Les Brenets mit Be 4/4 3.


Die meisten dieser Bähnchen haben bis heute überlebt, mussten allerdings in den vielen Jahren auch viele Änderungen und Verbesserungen über sich ergehen lassen, um auch noch heutzutage den Anforderungen und dem Zeitgeist zu entsprechen. Gerade in den letzten Monaten und Jahren erfasste ein regelrechter Sturm an Veränderung diese Bahnen, gilt es doch, bis zum Ende des nächsten Jahres die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes umzusetzen. 




Gleisplan von Les Brenets.



Die Hauptforderung dieses Gesetzes mit Bahnbezug: man muss an jeder Station barrierefrei in jedes Fahrzeug zum Transport von Fahrgästen einsteigen können. So sympathisch ich dieses Gesetz auch finde (ich habe bei der entsprechenden Volksabstimmung auch ein Ja auf meinen Stimmzettel gekritzelt), die Umsetzung wird und hat einen nachhaltigen Einfluss auf das Erscheinungsbild der meisten Bahnen in der Schweiz; egal ob schmalspurig, normalspurig, gross, oder klein, in der Nähe von Städten, oder ganz weit draussen auf dem Lande.




Bahnhofeinfahrt in Les Brenets mit Depot.



Einerseits müssen viele Bahnhöfe und Stationen umgebaut werden, indem beispielsweise nigelnagelneue und vor allem höhere Perrons erstellt werden. Nicht selten sogar mit Unterführungen, dort wo man früher einfach über die Gleise latschen durfte. Gleichzeitig werden  auch gleich die Gleispläne entsprechend angepasst und vereinfacht.




Aufnahmegebäude mit weniger schönem Güterschuppen.



Weil es nach dem neuen Gesetz nicht mehr erlaubt ist, ab dem inzwischen erhöhten Perron zwei-drei Tritte ins Fahrzeug klettern zu müssen, wird zur Zeit sehr viel Geld in neues Rollmaterial investiert, um in jedem Zug mindestens einen ebenerdigen Zugang zu ermöglichen. Dass dabei sehr viel Rollmaterial auf dem Misthaufen, bzw. im Wertstoff-Kreislauf landet, das noch einige Jahre gute Dienste leisten könnte, ist eine andere, nicht ganz streuerzahlerfreundliche Geschichte.




Aufnahmegebäude mit weniger schönem Güterschuppen.



Eine Bahnlinie, die bis jetzt von all diesen Änderungen weitgehend verschont wurde, ist die Meterspur-Linie von Le Locle nach Les Brenets im neuenburger Jura, einen Steinwurf von der Grenze zur Grande Nation

Diese 1890 eröffnete Linie verbindet Le Locle über mickrige 4240 Meter fast horizontal mit Les Brenets. Damit dies im doch recht zerklüfteten Jura möglich ist, wurden drei Tunnels mit jeweils 721, 36, und 299 Metern durch den Jurakalk geschlagen, womit ungefähr ein Viertel der Strecke in Tunnels verläuft. Und den Unterhalt der Strecke entsprechen verteuert. Allerdings erspart man sich dadurch eine kurvenreiche und im Winter mitunter unmögliche Fahrt über einen Pass. 




Ausfahrt aus Le Locle.
Links die Normalspurgleise der Linie La Chaux-de-Fons - Besançon.




Weil weder Le Locle noch Les Brenets wirkliche Metropole mit Weltruf und entsprechender Populationen sind, ist das Fahrgastaufkommen entsprechend mager. Für die Bewältigung genügt ein einzelner Triebwagen. Falls einer von Euch eine wirkliche teure Uhr aus Schweizer Fertigung am Handgelenk tragen sollte, die Chance ist übrigens gross, dass diese in dieser Gegend gefertigt wurde. 




Station Le Châlet.


Zwischen Le Locle und Les Brenets gibt es zwei Haltestellen. Knapp 500 Meter von Le Locle entfernt, unmittelbar vor der Einfahrt in den längsten Tunnel befindet sich die Station Le Châlet. Sie liegt neben dem ehemaligen Normalspur-Depot von Le Locle. Ich habe erst einmal erlebt, dass dort jemand ausgestiegen ist. Und das war ich.




Kurvenreiche Waldpartie.


Zwischen dem ersten und dem zweiten Tunnel liegt Les Frêtes. Diese Station ist nur mit Schusters Rappen, oder mit einem wirklich geländegängigen Fahrzeug erreichbar. Ich war immer der Überzeugung, die einzigen Fahrgäste die dort aus- oder zusteigen, wären Fuchs und Hase zum Gutenachtsagen. Ich habe mich geirrt. Bei meiner letzten Fahrt mit einem Mittagszug unter der Woche haben dort Schüler auf dem Heimweg den Zug verlassen.




Quer durch den neuenburger Jura.



Les Frêtes liegt meiner Meinung nach im schönsten Streckenabschnitt. Dort verläuft die Strecke entweder durch Wälder, über Kuhweiden, durch Einschnitte und einen Tunnel, oder sie folgt kurvenreich Felswänden aus Kalkstein. Dieser Streckenabschnitt kann es durchaus mit anderen Bahnlinien mit viel klingenderen Namen aufnehmen. Und das über eine Strecke von knapp 2000 Metern.




Abwechslung im Streckenverlauf.



Kurz nachdem der 300 Meter lange Châtelard-Tunnel verlassen wurde, wird auch schon der Endbahnhof in Les Brenets erreicht. Ein Endbahnhof einer Kleinbahn, schöner ginge nicht. Und er ruft geradewegs nach einem Nachbau als Modell! Er besteht aus vier linken und einer rechten Weiche, besitzt ein richtiges Aufnahmegebäude mit angebautem Güterschuppen und Rampe, und er hat ein richtig stattliches Depot, in dem das witterungsempfindlichere Rollmaterial abgestellt und gewartet werden kann. Sogar ein Selecta-Automat und ein Toilettenhäuschen sind vorhanden.




Weit ab vom Schuss: Les Frêtes.



Eigentlich hat Les Brenets sogar noch einen weiteren Lokschuppen, dieser ist allerdings optisch weniger schön, wird heute nur noch als Gerümpelkammer gebracht und ist auch nicht mehr ans Gleisnetz angebunden. Um ihn - oder seinen schöneren Vorgänger an gleicher Stelle - in den Gleisplan zu integrieren, benötigte man jedoch eine weitere Weiche.




Unterwegs zwischen Les Frêtes und Les Brenets..



Der Rollmaterial-Bestand ist äusserst bescheiden. Da wären beispielsweise die beiden identischen Triebwagen Be 4/4 im mittleren bis fortgeschrittenen Alter. Der eine davon ist relativ dümmlich mit schwerbewaffneten Agenten, nicht minder gefährlichen Agentinnen und Inspector Clousseau beklebt. Dies wegen eines Murder-Mystery-Anlasses vor Jahren. Ansonsten habe ich bei meinem letzten Besuch noch einen weiteren Wagen im Depot erspähten können, bei dem es sich eventuell um einen Steuerwagen zu den beiden Triebwagen handeln könnte. Ausserdem waren ein Hochbordwagen und ein Zweiwegefahrzeug mit Rolli abgestellt. Der Hochbordwagen wird nur noch für Unterhaltsarbeiten an der Strecke eingesetzt, denn Güterverkehr gibt es dort seit Jahren keinen mehr. Wer will den schon per Bahn etwas Sprerriges in diese abgelegen Gegend spedieren, zumal in Le Locle auch die nötige Infrastruktur für den Umlad fehlt?




Einfahrtsweiche von Les Brenets, rechts das Depot.



Die Zukunft dieser wahrscheinlich letzten wirklichen Kleinbahn in der Schweiz? Eher düster, was den Bahnbetrieb angeht. Wenn die Mühlen so langsam mahlen, wie sie normalerweise mahlen, wird in rund anderthalb Jahren der Bahnbetrieb eingestellt. Dann werden die Gleise herausgerissen und das Trasse mit einer dicken Schicht aus Asphalt überdeckt. Spätestens 2025 sollte dann ein Bus mit Batteriebetrieb Les Brenets mit Le Locle verbinden.

Sicher eine nachhaltige Lösung, aber leider geht dabei ganz, ganz viel Kleinbahn-Romantik flöten.




Les Brenets erreicht! 


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