Presslufthammer und Baggerzahn

Wer wie ich in den Siebzigerjahre in einem Umfeld mit gewisser progressiver Tendenz gross geworden ist, kam kaum um die Bildserien von Jörg Müller herum. Jede 68er WG hatte mindestens eine der beiden wunderbar-detailgetreu gezeichneten Serien irgendwo zwischen Treppenhaus und Wohnzimmer an der Wand.

Bei mir hingen beide Serien im Kinderzimmer einer durchschnittlichen Familienwohnung. Die mit dem Titel „Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder“ zeigt in sieben genau datierten Bildern zwischen dem 6. Mai 1953 und dem 3. Oktober 1972 wie sich das fiktive Dorf Güllen (Dürenmatts alte Dame lässt grüssen) vom idyllischen Kaff zur modernen Betonwüste wandelt. 


Die zweite Serie - sie heisst „Hier fällt ein Haus, dort steht ein Kran und ewig droht der Baggerzahn“ - zeigt in gleicher Manier, wie sich eine Stadt im ähnlichen Zeitraum ändert. Nein, ich möchte hier keine Statements zum Thema „früher war alles besser“ abgeben. Vielleicht waren gewisse Dinge besser, andere waren einfach anders, und vieles hat sich seit damals auch zum Besseren geändert. 

Weshalb ich diese beiden Bilderserien hier auf dem Weineggbahn-Blog zeige? Jörg Müller hat es mit den Details dermassen ernst genommen, dass die Bilder durchaus als Vorlage für epochengerechte Details auf der Modellbahn genommen werden können.

Schaut Euch beispielsweise die Ausstattung des Bahnhofs auf den verschiedenen Bildern an! Oder das Saurer-Schnauzen-Postauto hinter dem Aufnahmegebäude auf dem ersten Bild.

Generell die Ausstattung des Bahnhofs. Dann die zum jeweiligen Jahr passenden Züge mit der Buchli-Ae 3/6, dann die Bm 6/6 mit ihrem vorbildlichen Kranzug. 

Und dann das Krokodil - eine Be 6/8 II - vor dem Güterzug. Gut, beim einen oder anderen Güterwagen hat sich der Illustrator künstlerische Freiheiten genommen. Dafür gibt es an der Re 4/4 I am 14. Juli 1969 nichts zu meckern.

Die Veränderungen der Stadt über die Jahre sind nicht minder genial. Sogar den Zeitpunkt der Einführung des Zebrastreifens kann zumindest für die Schweiz anhand dieser Bildreihe bestimmt werden.

Auch die Werbeplakate scheinen zeitlich zu stimmen. 

Bestimmt hat mich der etwas fortschrittskritische Hintergrund dieser Bildserien im Kinderzimmer teilweise geprägt. Was aber sicher einen positiven Einfluss auf mein Hobby hatte, ist die Detailverliebtheit dieser Illustrationen. 

Und dann sind da diese diversen Geschichten, die auf jedem Bild erzählt werden; manchmal gehen die Geschichten auch über mehrere Bilder.

Als ich mir die Bilder jetzt nach vielen Jahren wieder angesehen habe, sind mir neue Details aufgefallen, die ich bisher nicht kannte. Oder die ich im Laufe der Jahre vergessen habe.





Beide Bildserien sind übrigens nach wie vor erhältlich, wie mir Google gerade zu verstehen gab. Ich überlege mir gerade, ob sie mittelfristig eine Investition wert wären?


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