Nach Osten
Mir war schon bewusst, östlich der Schweiz ist die Welt nicht zu Ende. Ich war auch schon zwei- oder dreimal in der Hauptstadt des Staates, der dort anschliesst, aber den Staat selbst habe ich nie ausführlich besucht, durchfahren und erforscht. Dabei gäbe es dort ganz viele spannende Bähnchen.
Im August 2019 setze ich mich morgens in einen Panoramawagen, der mich bis zum Abend über mindestens sieben Berge nicht zu den sieben Zwergen, sondern nach Graz fuhr. Ich bin ja auch nicht das Schneewittchen. Ziel waren die mir noch unbekannten Privatbahnen in der Steiermark. Und in den folgenden Tagen habe alle besucht, die 2019 öffentlichen Verkehr anboten.
Eine Fahrt im Eurocity Transalpin von Zürich nach Graz kann ich übrigens wärmstens empfehlen.
Wie geschrieben, die Bahnfahrt war wunderschön und ich werde sie höchstwahrscheinlich einmal wiederholen. Damals entstand aber auch die Idee, ich könnte versuchen auf möglichst gerader Linie, über alle möglichen Bergrücken und Pässe nach Graz zu gelangen. Dies wäre nur mit dem Auto möglich. Ja klar, per Velo oder zu Fuss ginge es auch, da ich aber weder Masochist noch Ötzi bin, nahm ich die Hilfe eines Volvo-Dieselmotors in Anspruch. (Wir wissen somit: ich bin weder Schneewittchen noch Ötzi, sondern eher ein bequemer Warmduscher.)
Nach einem frühmorgentlichen Coiffeur-Termin setzte ich mich rund ein Jahr nach der ersten Reise ins Auto und fuhr Richtung Chur, dann über den Albulapass - dem ersten Pass dieser Reise - ins Engadin und dem Inn und teilweise der Rhätischen Bahn entlang über Scuol nach Innsbruck. Dort schlug ich mein erstes Nachlager auf.
Am nächsten Tag sass ich wieder recht früh hinter dem Steuerrad und steuerte zuerst einmal das Zillertal an. Auch wegen der dortigen Schmalspurbahn. Vor dem südlichen Ende der Zillertalbahn bog ich allerdings scharf links ab und erreichte nach gefühlten tausend Kurven den Gerlospass. Was für eine schöne Gegend! Und was für eine schöne Passfahrt.
Wie es Pässe so an sich haben, geht es normalerweise wieder hinunter, kaum ist man oben angekommen. In diesem Fall wartete unten in Krimml die Pinzgauer Lokalbahn auf mich. Genauso schmalspurig wie die Zillertalbahn.
Ich habe der Pinzgauer Lokalbahn vor rund zehn Jahren schon einmal Hallo gesagt und wusste: im Bahnhof Mittersill, ungefähr in der Mitte der Strecke, gibt es einen Souvenir-Laden, der nicht nur Unbrauchbares anbietet, sondern auch richtige Modellbahnen im richtigen Massstab. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, auf dieser Reise keine richtigen Modellbahnen im richtigen Massstab zu erstehen. Ich hab‘ ja eigentlich schon alles, und davon viel zu viel...
Aber wisst Ihr was? Der Laden im Mittensiller Bahnhof war geschlossen. Eine Fügung des Schicksals? Jedenfalls positiv für mein Ferienbudget. Nach dieser Enttäuschung fuhr ich südwärts Richtung Grossglockner Hochalpenstrasse.
Von dieser habe ich immer wieder eindrückliche Bilder gesehen, und der Umstand, dass man diese Strasse nur fürs Vergnügen, ohne volkswirtschaftlichen Nutzen, quer über die Berge baute, zwang mich quasi dazu, mir diese Strasse näher anzusehen. Auf der ganzen Fahrt von Zürich über die Berge und Pässe bis hierher, hat es wenn nicht meistens, dann sicher mehr als oft geregnet. Abgesehen davon, dass solches Wetter für eine Fahrt im trockenen und wohltemperierten Auto und weniger für wandern, oder Velo fahren spricht, hatte ich die Grossglockner Hochalpenstrasse über die gesamten fünfzig Kilometer für mich alleine. Ich könnte mir nämlich vorstellen, dass bei schönem Wetter, bestimmt noch der eine oder andere Touristen über die Hochalpen unterwegs gewesen wäre.
Ich finde die Stimmung in den Bergen auch bei Bewölkung und Regenwetter sehr schön. Mit der Einschränkung, ich befinde mich in einem Zug, einem Auto, einem Bergrestaurant, oder nur für einen überschaubaren Zeitraum draussen in der freien, aber nassen Natur. Somit kann die Fahrt zwischen Bruck und Heiligenblut persönlich als Erfolg auf der Liste abgehakt und gleichzeitig bestätigt werden: ich bin ein Warmduscher.
Wegen dem Abstecher über den Grossglockner war die Fahrstrecke nicht mehr ganz „as the Crow flies“.
Später landete ich auf der A10, die Österreichs Norden mit dem Süden verbindet. Die ganze südliche EU schien auf dem Weg in die nördliche EU unterwegs gewesen zu sein, und zwar in allen Formen von strassengebundenen, autobahntauglichen Fortbewegungsmitteln. Was sich nicht nur auf die eigentliche Reisezeit negativ auswirkte, die Wartezeit vor der Toilette auf der Raststätte war ebenfalls überdurchschnittlich lang. Und meine Blase war voll! (Ich bin nicht Schneewittchen, nicht Ötzi, aber ein Warmduscher mit schwacher Blase.)
Nachdem sich das Problem mit dem Harndrang dann doch noch erfolgreich lösen liess, verliess diese Ameisenstrasse des freien, europäischen Binnenmarkts nach dem Tauerntunnel wieder. Ich wollte nämlich noch den oberen Teil der Murtalbahn erkunden, den ich im Jahr zuvor nicht bereisen konnte, weil dort keine planmässigen Züge mehr fahren.
Ich habe mir vor vielen Jahren ein wirklich spannendes Buch von Markus Strässle über die Steiermärkischen Landesbahnen gekauft und dessen Inhalt über die Jahre weitgehend auswendig gelernt. Nun musste ich überprüfen, ob das Gelernte mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Verdikt: ja, abgesehen von den Veränderungen, die seit der Drucklegung und dem Jahr 2020 stattfanden, war alles wie beschrieben. Das gibt übrigens auch für all die anderen StLB-Bahnen, die in diesem Buch behandelt werden, und die ich auf dieser, oder der Reise im Jahr davor besucht habe.
Weiter der Murtalbahn folgend bemerkte ich vor Murau, dass meine Konzentration nachliess und ich das Auto fahren für diesen Tag vernünftigerweise sein lassen sollte. In einem Hotel in Murau verbrachte ich die folgende Nacht, nicht ohne mich vorher mit den zu ernähren, was die österreichische Küche dem müden Reisenden anzubieten hat. Fein! (Weder Schneewittchen noch Ötzi, aber ein verfressener Warmduscher mit schwacher Blase.)
Ausgeruht, warm geduscht und in frischer Unterwäsche ging es am nächsten Morgen ostwärts weiter. Zuerst der Murtalbahn weiter folgend und dann durch eine Voralpenlandschaft und über die A9 nach Übelbach. Mit der Übelbacherbahn hatte ich nämlich vom Vorjahr noch eine Rechnung offen. Fuhr sie doch präzise in dieser Woche nicht, in der ich in der Gegend war. Da bin ich in der Steiermark, speziell um Bähnchen zu besuchen, und die (sorry) schweizerischste aller StLB-Linien fährt nicht...
In diesem Jahr fuhr sie, und ich habe sie sogar benutzt: einmal im GTW Übelbach - Peggau und zurück. Mir wäre natürlich lieber gewesen, ich hätte im ehemaligen SZU-Triebwagen reisen können. Aber dazu ist es zu spät. Hätte ich doch die Steiermark und vor allem seine Bahnen einige Jährchen früher entdeckt! Selber schuld, das Buch mit all den Verheissungen stand und steht in meinem Bücherregal. Auch in ihrem leicht modernisiertem Zustand gehört die Übelbacher Bahn zu meinen Lieblingskleinbahnen auf dem europäischen Kontinent. Eine weitere folgt später noch.
Wer kennt sie nicht? Die blauen, zweiachigen Mikro-Elektrolokomotiven aus einer längst vergangenen Zeit, die zwischen Mixnitz und St. Erhard über die Schienen rumpeln? Heute sind sie (oder ist‘s nur noch eine?) nicht mehr regelmässig auf der Strecke unterwegs, diese Dienste werden von nicht minder interessanten Vierachsern abgewickelt. Nichtsdestotrotz, die nur Güterverkehr betreibende Breitenauerbahn musste ich natürlich auf der parallel verlaufenden Strasse abfahren. Den aus Mixnitz ausfahrenden Zug hätte ich um ein Haar verpasst. Darum gibt es leider nur ein Bild von ihm durch die verschmutzte Linse meines iPhones.
Was für eine Strecke! Vielleicht bekomme ich ja einmal noch die Chance in einem der dort verkehrenden Museumszügen die Strecke auf den Gleisen zu befahren.
Birkfeld ist wiederum Ausgangsort einer weiteren, leider ehemaligen Schmalspurbahn der StLB, die in Weiz Anschluss an die normalspurige StLB-Linie nach Gleisdorf hat. (was für ein Name für einen Bahnhof.)
Auf der Feistritztalbahn, wie die Schmalspurbahn vom Birkfeld nach Weiz heisst, fuhren bis 2015 noch regelmässig Güterzüge. Tja, leider schon wieder einmal etwas Spannendes knapp verpasst. Laut Wikipedia steht es auch um den Museumsbetrieb auf dieser Strecke nicht zum Besten. Schade, die durchfahrene Strecke wäre reizvoll.
In Weiz wurde ich zuerst fast von einem GTW überfahren, dann hatte ich einen nicht besonders feinen Hamburger und habe alle möglichen Dieseltriebfahrzeuge der Steiermärkischen Landesbahnen erspähen können. Also grossmehrheitlich ein erfolgreicher Zwischenhalt.
Das Ziel dieser Etappe war allerdings Feldbach einige Kilometer östlich, und seine Bahn nach Bad Gleichenberg. Diese habe ich im vorherigen Jahr schon abgefahren und ich fand sie abgefahren. Darum wollte ich sie am Folgetag nochmals abfahren. Daraus wurde leider nichts. Die heftigen Regenfälle der vergangenen Tage führten dazu, dass sich Erdreich in Gleisnähe entschloss zu Erdreich im Gleisbereich zu werden. Was wiederum dem Triebwagen die Durchfahrt auf der Strecke verunmöglicht, solange das Erdreich nicht mithilfe einer Baumaschine wieder aus dem Gleis entfernt wird. Somit war nichts mit der Strecke nochmals abfahren. Schade, denn sie gehört, wie die Übelbacherbahn, meiner Meinung nach in die Hall of Fame kontinentaleuropäischer, normalspuriger Nebenbahnen. Und ausserdem verkehrt sie seit diesem Jahr nur noch an Wochenende und um ihre Zukunft ist‘s nicht besonders gut bestellt.
Dafür besuchte ich Graz. Besser gesagt, ich besuchte Graz‘ Fachhandel für Modellbahnen und Zubehör. Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Geschäfte im Osten der Stadt entdeckt, die unmittelbar nebeneinander liegen und beide auf ihre Art ein ansprechendes Sortiment feilbieten. Der eine Laden hat praktisch nur Occasionen, der Andere Neuwaren. Und so huschte ein Set grüner Spantenwagen von Roco über den Ladentisch des Zweiten und in meinen Besitz; trotz meines diesbezüglichen Vorsatzes vor Antritt der Reise. (Ich bin nicht nur nicht Schneewittchen, oder Ötzi, dafür ein verfressener Warmduscher mit schwacher Blase und wenig Selbstdisziplin.)
Am nächsten Tag hiess es wieder „let‘s go west.“ Ich, mein Volvo und ein Set Spantenwagen verliessen Feldbach mitsamt dem singenden Kanarienvogel auf dem Balkon des Nachbarhauses. Via Graz, Wörthersee und Lienz erreichte ich nach einigen Autobahn-Kilometern den Tunnel unter den Hohen Tauern. Und dann wieder Mittensill mit seinem Souvenir-Laden. Der natürlich auch dieses Mal wieder geschossen war.
Und am nächsten Tag endete ich in Innsbruck in einem Modellbahn-Geschäft. Und ich brach meinen Vorsatz definitiv! Aber ich wollte ja eigentlich schon immer ein Modell einer ÖBB-2143, ausserdem passt dieses Modell doch perfekt zu den Spantenwagen aus Graz, und weil diese sonst ohne Zugfahrzeug wären, musste ich einfach... (Schneewittchen: nein! Ötzi: auch nicht. Aber verfressen, bequem, definitiv undiszipliniert und mit schwacher Blase bestückt! Tja, Nobody is perfect...)
Ich habe hier von „Steiermärkische Landesbahnen“ und StLB geschrieben, statt „Steiermarkbahn“ und StB, wie sie zur Zeit meiner Besuche inzwischen heisst. Ich nenne es künstliche Freiheit.
Ausserdem sind nicht alle Fotos in diesem Post auf der Reise im Jahr 2020 entstanden; einige habe ich im Jahr davor aufgenommen und verwendet, wenn ich fand, dass sie passen könnten.
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