Mission Misox

Der Untertitel meines Blogs ist „Modellbahn und Eisenbahnabenteuer.“ Zweitem habe ich in letzter Zeit leider viel zu wenig Beachtung geschenkt.


Die Rhätische Bahn ist bestimmt jeden Follower des Weineggbahn-Blogs ein Begriff. Schöne, imposante Strecken kreuz und quer durch den Kanton Graubünden. Dass ein Teil des geografischen Tessins ebenfalls zu Graubünden gehört, und dass das Misox - wie dieses Tal auf deutsch heisst  - ebenfalls durch eine Schmalspurbahn-Linie der RhB erschlossen wurde, geht gerne vergessen.


Auf die Geschichte dieser Bahnlinie, mit ihren weniges Aufs, aber vielen Abs, gehe ich hier nicht näher ein. Das haben andere viel besser gemacht, ich empfehle beispielsweise EINGESTELLTE BAHNEN; auf dieser Website wird nicht nur über die Bellinzona - Mesocco berichtet, sondern auch über ganz viele andere sympathische Bähnchen, die leider das Zeitliche gesegnet haben.



Mein Abenteuer, über das ich hier berichten möchte, bestand darin, mich auf dem oberen Streckenteil auf die Suche nach Relikten dieser Bahnlinie zu machen. Dieser Streckenabschnitt wurde nach einem Unwetter 1978 eingestellt. Trotzdem sind auch 46 Jahre später noch Dinge zu sehen, und diese zu suchen, war das Ziel dieser Reise.


Meine Expedition begann an einem nassen und kühlen Samstag im Mai am ehemaligen Bahnhof von Mesocco, am oberen Ende der Bahn, wo sich auch ein grosses Depot befand. Sowohl das stattliche Aufnahmegebäude, wie auch das Depot - in der sich sicher auch eine Werkstatt befand - sind noch vorhanden. Beide zwar in einem baufälligen Zustand, aber trotzdem noch repräsentativ. 



Sogar einige Gleisreste liegen noch zwischen Werkstatt und Aufnahmegebäude. In der Flucht des ehemaligen Depots wurde vor wenigen Jahren ein Zweckbau errichtet, der neben Postautos - den  Nachfolgern der Bellinzona - Mesocco-Bahn - auch einen Feuerwehrstützpunkt und eine Garage für Ambulanzfahrzeuge enthält. 



Der Bahnhof von Mesocco dient heute den auch als Drehscheibe für diverse Postautolinien, die entweder der Feinerschliessung des Tals, oder der direkten Verbindung von Chur durch den San Bernardino-Tunnel nach Bellinzona dienen.



Die Bahnlinie das Tal hinunter überquerte nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof zuerst einmal die Hauptstrasse die durch das Dorf führt, um dann gleich in einen tiefen Einschnitt zu verschwinden. Am unteren Ende diese Einschnitts, der sogar mit einer Brücke überspannt ist, hätte die Bahn eine Ausfahrt der Autostrasse A13 überquert, welche das Tessin über den San Bernardino-Tunnel mit Nordbünden und der Ostschweiz verbindet. 



Nach dieser Querung wird es wild-romantisch. Fast ständig neigend führt das Trasse, das heutzutage als Landwirtschafts- und Wanderweg gebraucht wird, zuerst zwischen den letzten Häusern von Mesocco hindurch, um sich dann der Bergflanke entlang talabwärts zu schlängeln. 



Die Neigung ist typisch für eine Bahnstrecke, aber trotzdem konnte ich in meiner Fantasie hören, wie sich die elektrischen Triebwagen quietschend mit surrenden Motoren ihren Weg das Misox hoch quälten.



Mauern aus grobbehauenem Stein flankieren über weite Strecken bergseitig das Trasse. An manchen Stellen mussten meterhohe Einschnitte aus dem Berg gehauen werden. 



Nachdem die letzten Häuser von Mesocco hinter uns liegen, verläuft sich die Strecke hauptsächlich durch Mischwälder. Die diversen stacheligen Maronis am Wegesrand sind ein eindeutiges Zeichen, dass wir uns südlich der Alpen befinden.



Eine Lichtung erlaubt einen Blick auf die Ruine des Schlosses, welches linkerhand auf einem Felssporn das Tal überblickt.



Auch Blicke auf zahlreiche Wasserfälle auf der Südseite des Tales lassen sich hin und wieder erhaschen. Doch wirkliche Relikte aus der Zeit, als Züge hier durch fuhren, sind bis hier eher rar und beschränken sich auf die erwähnten Mauern und gelegentliche Wasserdurchlässe, die an diesem verregneten Tag ihrer Aufgabe durchaus gerecht wurden.



Doch dann. Was um alles in der Welt, macht dieses Strassenschild dort auf der linken Seite? Es warnt doch tatsächlich vor einer Barriere. Barrieren sind ja per se an Bahnlinien nichts spezielles. Wenn sie allerdings so aufgestellt sind, wie diese und dahinter dann auch tatsächlich eine Barriere folgt, ist es speziell.



Die Barriere kann einfach umgangen werden, und weil das zusätzliche Schild nur das Sammeln von Pilzen verbietet - die Hexen im Misox haben wohl eine starke Lobby - marschiere ich unbekümmert weiter.

An einer Stelle befände sich sogar noch eine Sitzbank, die zu einer beschaulichen Rast landen würde. Der Nieselregen wandelt sich allerdings langsam zu richtigem Regen, ich beschliesse daher diese Bank nicht zu frequentierten.

Nach einigen weiteren Biegungen erkenne ich durch das Blätterwerk den wahren Grund für die Barriere. Eine Brücke! Einige richtig stattliche Steinbogenbrücke. Ich vermute, man möchte dieser Brücke nicht mehr grössere Lasten zumuten und limitiert diese mit der Barriere auf Wanderer und Velofahrer.


Nicht nur die Brücke alleine ist schön, als Supplement gibt es noch einen richtig sprudelnden Wasserfall dazu. In einem Zug durch den Wald zu kurven, dann plötzlich diese Brücke und dann noch einen Wasserfall dazu! Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich mich durchaus für eine Zeitmaschine begeistern könnte?



Nach einigen hundert Metern folgt eine weitere Brücke, die es aber bezüglich Grösse nicht mit der ersten aufnehmen kann. Auch fehlt ein Wasserfall. Ich erwähne sie hier nur aus reiner Höflichkeit. Mit Brücken muss man sich gut stellen.



Nun bieten sie alles. Nun folgt doch tatsächlich nach einer weiteren Kurve, ein ausgewachsenes Tunnel. Ausgewachsen ist vielleicht etwas übertrieben, aber es ist ein Tunnel! 



Rund fünfzig Meter lang, und in der Mitte des Tunnels ist es nicht so hell wie draussen. Und hier muss die Strecke einfach ein Tunnel haben. Nach zwei Brücken braucht es definitiv ein Tunnel.



Ab jetzt überschlagen sich die Ereignisse! Da ist diese Mauer, die einen Trampelpfad mit einer Treppe oberhalb des Trasses sichert. Und an dieser Treppe befinden sich Metallklammern, welche einmal einen Oberleitungsmast in der Aufrechten hielten. Ich habe bis jetzt erfolglosen mit einem halben Auge immer nach Relikten der Oberleitung Ausschau gehalten. Dies hier ist das Erste.


Ein weiterer Höhepunkt folgt auf den nächsten Metern! Nach wenigen Schritten um eine Kurve erkenne ich eine weitere Brücke. Wenn man sich bis hierher mit Steinbogenbrücken begnügt hat, wird einem hier eine Steinbogenbrücke mit einem Mittelteil aus genieteten Metallträgern geboten.


Der Mittelteil scheint allerdings nicht mehr ganz frisch zu sein. Die Barriere weiter oben, diente definiert auch dazu, sicherzustellen, dass nur Fussgänger und schmale Fahrzeuge über diese Brücken gelangen.


Der Bach, zu dessen Überquerung diese Brücke gebaut wurde, hat auch eine anständige Grösse und rauscht entsprechend.



Nach einigen weiteren Schritten begegne ich sogar noch einer richtigen Bahn. Sie hängt zwar an einem Seil, fährt nicht auf Schienen und transportiert auch nur Material zu einem Haus weiter oben am Berg. Aber es ist eine Bahn!



Nach einer weiteren Kurve und einer weiteren Barriere sind wir schon bei den ersten Häusern von Soazza angelangt. Und man kann auch schon das Ziel der heutigen Etappe erkennen den ehemaligen Bahnhof von Soazza.



Als sich noch richtige Züge nach Mesocco hochquälten, war Soazza eine richtig nette Station mit allem was eine richtig nette Station ausmacht. 



Das Aufnahmegebäude wurde offensichtlich vor nicht allzu langer Zeit gründlich renoviert; und dort wo der Güterschuppen war, befindet sich jetzt eine Bibliothek. Lesen bildet. Ob es allerdings in dieser Bibliothek auch Eisenbahn-Literatur auszuleihen gibt, entzieht sich meiner Kenntnis.


Da sich das Wetter zwischenzeitlich nicht zum Besseren gewandelt hat, beschliesse ich, dass ich in Soazza auf das Postauto warten werde. Den weiteren Teil der Strecke weiter talabwärts werde ich ein andermal auskundschaften.



Vom Rollmaterial der Bellinzona - Mesocco - Bahn ist nicht mehr viel vorhanden. Die Museumsbahn, welche in den letzten Jahren im unteren Streckenteil bis Cama unterwegs war, hatte einen recht zusammengewürfelten Rollmaterial-Bestand, der nach deren Ende entweder zerlegt, oder an andere Orte verbracht wurde. Beim ehemaligen Bahnhof von Leggia, gerade neben der Talstrasse, befindet sich ein geschlossener Güterwagen, der bestimmt auf der Museumsbahn unterwegs war. Wann er allerdings vom RhB-Stammnetz nach Südbünden gebracht wurde, weiss ich nicht. Und im Industriegebiet von Grono steht noch ein Triebwagen, der schon zu Zeiten, als die RhB im Misox unterwegs war, von den Appenzeller Bahnen hierher ausgeliehen wurde.



Ein waschechter Bellinzona - Mesocco - Triebwagen befindet sich vor dem Bahn-Museum Albula in Filisur. Als der BDe 4/4 491 ins Misox geliefert wurde, hatte der Personenverkehr keine Bedeutung mehr; er wurde darum als Schlepptriebwagen gebaut. Er hat zwar innerlich und äusserlich Ähnlichkeiten mit Triebwagen, welche beispielsweise nach Arosa, oder über die Bernina eingesetzt wurden, aber wie die vergitterten Fenster unschwer erkennen lassen, ist er im Innern nur beschränkt für den Transport von zahlendem Publikum ausstaffiert.



Im Museum in Bergün habe ich per Zufall auch noch eine Fffitrine zum Thema Misox entdeckt.

Kommentare

Beliebte Posts