Two Days out.

Ich bin und bleibe ein Nostalgiker. Klar, ich benutze regelmässig für alles Mögliche mein Smartphone, schreibe diesen Text auf einem iPad und die Bilder hier stammen aus einem digitalen Speichermedium. Das sind für mich nur Alltagsgegenstände. Emotionen entstehen bei mir, unter anderem, bei wirklich handwerklich gefertigten Dingen. Die oft nicht nur bis ins Detail durchdacht sind, sondern auch etwas fürs Auge hergeben. Sie haben zudem Charakter und Charme.



De 4/4 1679, Bauma, 21. August 2022.


Darum stehen bei mir auch immer wieder Besuche bei Museumsbahnen auf dem Programm. Ich liebe wenn Eisenbahn raucht, stinkt, faucht und man am Ende der Fahrt kleine Stücke unverbrannter Kohle aus den Haaren klauben kann. Und in Wagen mitzufahren, denen man Handwerkskunst und das Alter ansieht.

Die Schweiz, wo ich zuhause bin, hat allerdings historisch gesehen, keine grosse Tradition bezüglich Dampftraktion. Die Schweiz hat keine Bodenschätze; keine Erze, kein Öl und auch keine Kohle. Aber Wasser. Viel Wasser. Jedenfalls bis zu diesem Sommer, aber das ist eine andere Geschichte. Und Teil dieser Geschichte.




De 4/4 1679, Bauma, 21. August 2022.


Die Leute, die „man“ ausmachen, beschlossenen darum schon zur Zeit des ersten Weltkrieges, dass man die Bahnen, welche in der Schweiz herumkurven, elektrisch betrieben müsste. Damit muss man keine Kohle und kein Öl aus dem Ausland einkaufen und ist darum unabhängiger.

Weil gleichzeitig viele Arbeiter ohne Anstellung und ohne Lohn auf der Strasse standen, war für die Elektrifizierung der Bahnen auch genügend Manpower vorhanden. Den nannte man damals allerdings anders.

Ausserdem bot dieser finanzielle Kraftakt des Staates der heimischen Maschinenindustrie die Möglichkeit, sich auf dem Sektor der elektrischen Zugführung zu profitieren. Während in den umliegenden Ländern noch mächtige Dampfloks die Hallen der namhaften Fabriken verliessen, waren es in der Schweiz bestenfalls noch Dampfloks für Industriebetriebe, sonst wurden eigentlich nur noch Elektrolokomotiven gebaut.




De 4/4 1679, Bauma, 21. August 2022.


Es ist schön, dass neben den Dampflokomotiven, die selbstredend das Nonplusultra der nostalgischen Eisenbahn darstellen, auch die Vertreter erhalten blieben, die sich mit Strom ernähren. Und dass diese mit ganz viel Liebe und Zuneigung gepflegt und fahrtüchtig erhalten werden.




Be 4/4 „EBT 102“, Sumiswald-Grünen, 11. September 2022.


Beispielsweise der De 4/4 1679. Ein Gepäcktriebwagen, der in der Mitte der Zwanzigerjahre zusammen mit dreiundzwanzig identischen Fahrzeugen an die SBB geliefert wurde. Offensichtlich eine gelungene Konstruktion, wurde beispielsweise der mit der Nummer 1679 erst 1983 aus dem regulären Verkehr genommen. Seit damals ist er ein historisches Fahrzeug, nach wie vor im Besitz der SBB und wird von Freiwilligen unterhalten.




Be 4/4 „EBT 102“, Sumiswald-Grünen, 11. September 2022.


Weil wir bekanntlich im vergangenen Halbjahr so alle erdenklichen Rekord bezüglich Hitze und keinem Regen gebrochen haben, war ein Einsatz von Dampflokomotiven vor Museumszügen in einigen Gegenden wenig ratsam. Im Zürcher Oberland, beim DVZO, entschied man sich darum am 21. August die Dampfloks im Schuppen zu lassen, und stattdessen den De 4/4 1679 von SBB Historic auszuleihen und den Züge vor zu spannen.

Fand ich gut. Weil man „leider“ keinen Betrieb mit Dampfloks anbieten konnte, wurde sogar der Fahrpreis gesenkt. Pssst, nicht weitersagen: ich hätte sogar mehr für eine Fahrt im Zug hinter dem De 4/4 bezahlt.

Dampfloks müssen nämlich gar nicht meinen, nur sie erzeugen eine schöne Geräuchkulisse! Stufenschalter, Kompressoren und alte Elektromotoren können nämlich auch Musik machen.  Schöne Musik sogar. Jawohl!

Weil De 4/4 früher einmal auf dieser Strecke zuhause waren, stimmte sogar das Ambiente. 

Ein schöner Sonntag in einem schönen Museumszug.




Be 4/4 „EBT 102“, Sumiswald-Grünen, 11. September 2022.


Am 11. September fand im Kanton Bern ein Slowup statt. Der Sinn dieser Veranstaltung ist mir bis heute nicht ganz klar. Ein Treffen von Mittelstandsfamilien, die mit Kind, Kegel und Mountainbikes im Minivan oder Campingbus durch die halbe Schweiz fahren, um dann einige Runden auf einer abgesperrten Hauptstrasse zu drehen? Oder sind das Zielpublikum eher adipöse Frauen zwischen dreissig und fünfundfünfzig, die mit ihren E-Bikes und einem Hund im Körbchen auf dem Gepäckträger von Essensstand zu Essensstand fahren? Ich weiss es nicht, sehe es allerdings auch nicht als Aufgabe es Weineggbahn-Blogs an, solchen Dingen auf den Grund zu gehen. Alle hatten jedenfalls Spass und das ist die Hauptsache.




Der Zug hinter der Be 4/4. Ganz nach meinem Gusto. Ich bitte allerdings den doofen Zaun auf den Bild zu entschuldigen. Sumiswald-Grünen, 11. September 2022.


Ich hatte übrigens auch Spass. Die Strecke des Vereins Historische Eisenbahn Emmentalverläuft nämlich teilweise parallel zur Strecke dieses Slowups. Und der VHE hängte an diesem Tag ihre Be 4/4 „EBT-102“ vor einige Züge. Die Lokomotive wurde 1942 an die Emmental-Burgdorf-Thun-Bahn geliefert und befindet sich heute in Obhut dieses Vereins. Und ich finde sie einfach schön. Ob ich das Pendant der Bodensee-Toggenburg-Bahn vielleicht ein Spürchen schöner finde? Erbsenzählerei! Jedenfalls war sie Grund für mich einmal die Heimat meiner Vovovorvorfahren zu besuchen und eine Fahrt in und zurück über die schöne Strecke zwischen Huttwil und Sumiswald-Grünen zu absolvieren.




Der Zug hinter der Be 4/4. Ganz nach meinem Gusto. Ich bitte allerdings den doofen Zaun auf den Bild zu entschuldigen. Sumiswald-Grünen, 11. September 2022.



Wenn jetzt der eine oder andere modellbahnaffine Mitleser findet, ihm komme die Be 4/4 doch irgendwie bekannt vor, dem werfe ich folgende Stichworte an den Kopf: Liliput, Kleinbahn und Wesa!

Genau, alle drei Modellbahnhersteller hatten über Jahre das entsprechende Modell im Sortiment. Während bei Wesa Produktionsjahre eher bescheiden waren, kamen die beiden Modelle aus Österreich auf einige Jahrzehnte ununterbrochener Verfügbarkeit. Wesa war ein Hersteller aus der Schweiz, sogar aus der Gegend; aber warum produzierten zwei Hersteller aus dem fernen Wien Modelle dieses Vorbilds mit wirklich nur lokaler Bedeutung? Auf ein brauchbares Modell des De 4/4, der schweizweit unterwegs war, musste das geneigte Publikum hingegen Jahrzehnte warten. Die Welt ist voller Fragen und ungelöster Geheimnisse.

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