Im vorhergehenden Post habe ich über meine Fahrt mit der Rjukanbahn im letzten Sommer berichtet, diese Bahnlinie, die nur über eine Fähre auf dem Tinnsee an den Rest des europäischen Eisenbahnnetzes angebunden ist. In diesem Post geht es nun um meine Entdeckung dieses See und eben dieser Fähre. Vielleicht kommt der Modellbahnbezug bei diesen Post zu kurz, aber auch bei Hollywood-Filmen sind die Bezüge der Sequels zum Original nicht immer ganz nachvollziehbar...
Es war ein wirklich verregneter und entsprechend kühler Sommertag, wie es sie ab und zu in
Norwegen gibt, als ich mich vor rund fünfzehn Jahren zum ersten Mal in
dieser Gegend aufhielt. Ich habe mich von Osten her dem Tinnsee genähert, aus
Notodden kommend über die 37. Ich hatte gelesen, dass es am unteren Ende des Sees, in Tinnoset, einen Fähranschluss mit Rangierbahnhof geben soll. Es war mir bekannt, dass dort seit Jahren keine Züge mehr fahren, geschweige denn Wagen auf die Fähre verladen werden. Kurz nach Gransherad bin ich von der 37 rechts Richtung See abgebogen; ich wollte mir das Ganze ansehen. Darum hat es mich auch in diesen Teil der
Telemark verschlagen.
„Storegut“ in Mael. Rechts die Dampffähre „Ammonia“
Die Szenerie, die sich mir dort bot, werde ich hoffentlich mein Leben lang nicht mehr vergessen. Da lag dieses riesige Fährboot vertäut am Anleger in dieser nassen, wolkenverhangenen, menschenleeren Gegend. Es brannte zwar Licht auf dem Schiff, das mit zwei Diesellokomotiven beladen war, aber es war nirgends eine Menschenseele zu sehen, geschweige denn zu hören. Weder auf dem Schiff noch in seiner Umgebung. Irgendwo weit oben am Berg hörte ich einen Hund bellen. Oder war es eine Maschine. Ich weiss es nicht mehr nach all den Jahren. Wäre noch eine Wasserleiche auf der fast schwarzen Oberfläche des Tinnsees getrieben, der skandinavische Krimi wäre perfekt gewesen.
Ein G3 dient als Lagerraum für Schwimmwesten.
Nichts war umzäunt. Man konnte einfach aufs Schiff hinaus gehen; einfach so. Ich habe mich etwas vorgewagt, traute mich nicht weiter. Was wäre geschehen, wenn ich ausgerutscht, oder durch eine der Holzbohlen gebrochen wäre, über die man vom sicheren Festland aufs Schiff gelangen konnte?
Ich war ganz alleine unterwegs. Hätte mich jemand aus dem kalten Wasser gezogen? Es war keine Seele weit und breit, die mir hätte helfen können. Eventuell wäre ich diese Wasserleiche geworden und wäre dann friedlich über den See getrieben.
Still life on Board I.
Nachdem ich mit festem Boden unter den Füssen und aus sicherer Entfernung einige Bilder geschossen habe, widmete ich mich dem nicht minder morbiden Fährbahnhof. Hier stand alles, was das Herz des nostalgisch veranlagen Freundes norwegischer Bahnen höher schlagen lies: duzende Wagen und Lokomotiven, die ich bestenfalls aus Fotobüchern kannte. Alle schon etwas mitgenommen, rostig und teilweise unter dicken Moosschichten konserviert. Schade, sind die Fotos von damals verschwunden.
Still life on Board II.
Nicht nur, weil ich mich in dieser verlassenen Gegend etwas fürchtete, auch die alles durchdringende Feuchte liess mich erschauern; die Gegend lud wirklich nicht zum längeren Verweilen ein. Ich setzte mich wieder in den gemieteten Volvo V70 D5 und fuhr auf der Küstenstrasse 37 entlang des Tinnsees weiter. Wahrscheinlich werde ich die Stimmung an diesem Tag wirklich nie mehr vergessen: die tiefhängenden Wolken in den Bäumen an den Steilhängen, die immerzu neue Wasserfrachten auf die Windschutzscheibe des Volvos, die Strasse und alles links und rechts davon entluden und alle Farben unterdrückten. Damals kannte ich die Geschichte rund um Rjukan und den Tinnsee im zweiten Weltkrieg schon ansatzweise. Die Stimmung war tatsächlich wie in einer dieser dramatischen Szene in einem Kriegsfilm. Oder eben in einem skandinavischen Krimi? Jedenfalls war es schön, auf eine spezielle Art.
Blick Richtung Mael.
Seit damals bin ich immer wieder einmal in dieser Gegend gewesen. Sie ist einfach herb-schön und interessant. Es gibt übrigens auch viele Tage mit massig viel Sonnenschein und einem einem Solo an der Tankstelle.
Seit meiner ersten Begegnung mit dem Fährschiff Storegut ist einiges gegangen; die ganze Region mit der Stadt Rjukan, der Rjukanbahn und der Fährverbindung zwischen Mael und Tinnoset wurde - berechtigt - zum Weltkulturerbe erklärt. Viel fleissige Hände, und wahrscheinlich einig norwegischen Petrodollars, haben nicht nur Bahnlinie und Fährverbindung wieder zu neuem Leben erweckt, die ganze Gegend scheint aus ihrer Lethargie von damals erwacht zu sein. Auf der Bahnlinie werden jetzt Touristen statt Kunstdünger verfrachtet. Es ist auch nicht so, dass wieder täglich Güterwagen über den See verschifft würden, auch hier sind Touristen das ausschliessliche Transportgut.
Im Salon.
Ich war am 6. August 2021 einer von diesen Touristen. Nachdem ich einige Tage zuvor die Rjukanbahn ausgiebig erkundet habe, stand an diesem Freitag eine mehrstündige Schifffahrt von Mael nach Tinnoset und zurück auf dem Programm. Und sie war schön!
Strasse Nummer 37. Das Ende der Fährverbindung und der Rjukanbahn.
Der See ist etwa vierzig Kilometer lang und schätzungsweise einige hundert Meter breit. Und von einigen wenigen Siedlungen abgesehen, sind seine Ufer so gut wie unbewohnt. Es gab bis in die Achzigerjahre auch keine Strasse dem See entlang. Wer früher nach Rjukan, Austbygd oder Atra gelangen wollte, musste eine beschwerliche Fahrt durch das Gebirge auf sich nehmen. Auch die Siedlungen am See waren oft nur von den Bergen her erreichbar. Oder per Boot über den See. Diesem Umstand sind auch die Existenz von Fähre und Rjukanbahn geschuldet; ohne die hätten man die Produkte, die bei Norsk Hydro in den Fabriken rund um Rjukan mithilfe von viel Wasserkraft erzeugt wurden, gar nie zu den Abnehmern bringen können.
Trennung zwischen zwei Modulen? 🤔
Da lag sie nun also wieder vor mir, die grösste Binnensee-Fähre Europas mit dem Namen Storegut, was in etwas grosser Junge bedeutet. Sie wirkte nicht mehr so furchteinflössend, wie bei unserer ersten Begegnung vor einiger Jahren im Regen.
Auf ihr werde ich die nächsten Stunden verbringen, sicher, dass keine Bohlen beim Betreten brechen werden, und wenn: dann wären Leute zugegen, die mich bestimmt wieder aus dem Wasser ziehen werden. Norwegerinnen und Norweger habe ich als grundsätzlich hilfsbereit erlebt. Zudem war an jenem Freitag ein Inspektor des Schifffahrtsamts für seine periodische Prüfung mit an Bord. Das gab mir ebenfalls Zuversicht.
Eine der beiden Diesellokomotiven, die bei meiner ersten Begegnung auf dem Deck vertäut war, hat übrigens wenige Tage zuvor „meinen“ Zug von Mael nach Rjukan befördert.
Die Leute, die die Storegut wieder seefähig machten, haben ganze Arbeit geleistet, allerdings ohne es zu übertreiben. Die ganze Fähre hat noch immer diesen schönen morbid-rostigen Charme, den man in den Innenräumen sogar riechen kann. Man sieht dem Schiff an: es wurde gebaut und jahrelang gebraucht um Industriegüter über den See zu befördern. Nix Kreuzfahrtschiff für Passagiere mit weissen Kleidern. Das ist ein Schiff für Männer in Overalls mit Schwielen an den Händen, und das sieht man ihm auch heute noch an. So passt es auch perfekt in diese raue Gegend.
Storegut in Tinnoset.
Trotzdem hat man sich beim Bau die Mühe gemacht, bei den Innenräumen den Fahrgästen mit viel Holz und Linoleum einen wohnlichen Aufenthalt auf der Überfahrt zu ermöglichen. Speziell finde ich allerdings, dass das gemeine Fussvolk im Unterdeck unter den Güterwagen reisen musste, während Norsk Hydros Teppichetage in lichtdurchfluteten Salons über dem Eisenbahnbeck die Fahrt geniessen durfte. Diese sind zwar heute noch so angeschrieben, aber die Crew, ich und all die anderen Passagiere kümmerten uns einen Dreck darum. Kampf den Palästen! 😀
In Tinnoset.
Wie es sich für einen richtigen norwegischen Sommer gehört, war natürlich nicht auf der ganze Fahrt heiter Sonnenschein. Bei der Ankunft in Tinnoset wurden wir zum Beispiel von einem richtigen, alles durchnässenden Platzregen empfangen, und auch die Rückfahrt war mehrheitlich feucht denn sonnig. Trotzdem: es war eine wirklich schöne Schiffsfahrt. Auch wegen der netten Unterhaltung mit der Betreuerin an Bord, von der ich einiges über Norwegen und speziell die Gegend rund um den Tinnsee dazugelernt habe. Beispiel, dass man früher die schweren Dinge nach Möglichkeiten im Winterhalbjahr übers Eis zu den Höfen am See gebracht hat. Im Sommer wäre der Weg über die Berge viel schwieriger und kräftezehrender gewesen.
Zurück zur Modellbahn. Die Bahnlinie, die nur per Schiff oder Fähre erreicht werden kann, ja das wäre ein Thema. Beispielsweise auch als Inselbahn. Ich habe noch einen nicht angefangen Bausatz einer Eisenbahn-Fähre von Artitec herumliegen, und der passende Anleger von Artmaster wartet auf seine Vollendung. Die Weineggbahn als Inselbahn? 🤔 Ach ja, es gab tatsächlich einmal eine Storegut in 1:87 zu kaufen. Ich kenne das Modell nur von Fotos, mir wurde aber bestätigt, dass die Modellumsetzung eher grob gewesen sei.
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